11. September 2023
85 Années de la Nausee

[…] „Man darf sie [die Städte] nicht verlassen. Wenn man sich zu weit hinauswagt, trifft man auf den Vegetationsring. Die Vegetation ist kilometerweise auf die Städte zugekrochen. Sie wartet. Wenn die Stadt tot ist, wird die Vegetation in sie eindringen, sie wird die Steine überwuchern, wird sie umklammern, sie von innen aushöhlen, wird sie mit langen, schwarzen Zungen sprengen; sie wird die Löcher verstopfen und überall grüne Pfoten herunterhängen lassen. Man muss in den Städten bleiben, solange sie lebendig sind, man darf nicht alleine unter diese dichte Behaarung dringen, die vor den Toren ist: man muss sie ohne Zeugen wallen und knacken lassen. In den Städten, wenn man sich darauf einzurichten, die Stunden zu wählen versteht, wo die Tiere verdauen oder schlafen, in ihren Löchern, hinter Haufen organischer Abfalls – trifft man fast nur Minerale, das am wenigsten Erschreckende des Existierenden.“ (S 244f)

[…]

 

Listen to:  Ethel Waters „Some of these days“ (1927)

 

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„Städte verfügen nur über einen einzigen Tag, der völlig gleich an jedem Morgen wiederkehrt. Kaum, dass man ihn an den Sonntagen etwas herausputzt. Diese Idioten. Es geht mir gegen den Strich, zu denken, dass ich ihre festen und saturierten Gesichter wiedersehen werde. Sie machen Gesetze, sie schreiben populistische Romane, sie verheiraten sich sie haben die maßlose Dummheit, Kinder zu machen. Unterdessen hat sich die große, verschwommene Natur in ihre Stadt eingeschlichen, sie ist überall eingesickert, in ihre Häuser, in ihre Büros in sie selbst. Sie rührt sich nicht, sie verhält sich still, und sie, sie sind mittendrin, sie atmen sie ein und sehen sie nicht, sie bilden sich ein, sie sei draußen, zwanzig Meilen von der Stadt entfernt. Ich sehe sie, diese Natur, ich SEHE sie… Ich weiss, dass ihr Gehorsam Trägheit ist, ich weiss, dass sie keine Gesetze hat: was sie für Beständigkeit halten… Sie hat nur Gewohnheiten und kann diese morgen ändern.“ […] (S 248f)

Jean-Paul Sartre: Der Ekel, 1938 (RoRo TB 51.Auf. 2007, Übers. 1981)

Audio: Alexandra „Mein Freund der Baum“  (1968)